Mittwoch, 2. April 2014

Persona - der bessere Weg, sich seiner Zielgruppe zu nähern

Vorgestern erschien auf t3n ein Artikel zu Personas, der sehr grob beschreibt, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Dieser Überblick über die Materie war auch die Intention des Autors, Mario Janschitz.

Einerseits bin ich stellenweise anderer Meinung als Hr. Janschitz, andererseits - und das ist meine Haupt-Kritik - steht man nach dem Lesen des Artikels im Regen. Es werden weder Quellen genannt, die die Ausführungen irgendwie belegen, noch gibt es einen Abschnitt mit Links zu anderen (Fach-)Artikeln oder Büchern zu dem Thema.
Natürlich lege ich hier nicht den Maßstab einer wissenschaftlichen Arbeit an (ebenso wenig, wie an meine Posts), aber hey, wir sind im WWW. Dessen Kern sind Links! Und bei einem Artikel, der einen Überblick über die Materie sein soll, hätte ich viele Links erwartet.

Das möchte ich hier anders machen.


Mein erster Kontakt mit diesem Konzept war im April 2002 - vor recht genau 12 Jahren. Zu jener Zeit lernte ich Zielgruppenbeschreibungen weitgehend in Form prosaischer, mehrseitiger Word-Dokumente kennen. Die Beschreibungen waren meist an Sinus-Milieus angelehnt, was höchstwahrscheinlich der Tatsache geschuldet war, dass die Marktforschung die primäre, manchmal einzige Quelle war und auch weite Teile der Zielgruppenbeschreibung direkt aus einer MaFo-Feder kam.
Ich empfand diese damals als unintuitiv und kaum in meine tägliche Arbeit integrierbar, unter anderem weil ich mir das Zeug - schon wegen der Masse - kaum merken konnte.
Also begab ich mich auf die Suche nach einem anderen Modell und landete bei den damals, zumindest für den Einsatz im Marketing, noch unbekannten Personas.

Einer der ersten Artikel auf die ich stieß hatte den Titel Reconciling market segments and personas von Elaine Brechin. Dieser Artikel existiert heute noch - leider jedoch als Re-Post mit dem Datum Mai 2008. Macht aber nichts, lesenswert ist er heute auch noch. Das Bild rechts ist ein Ausschnitt aus dem Original von 2002.

Was ist eine Persona?

Bleiben wir mal beim unvermeidlichen, als Startpunkt hervorragend geeigneten Wikipedia. Im leider recht kurzen Artikel zu Persona findet sich folgende Beschreibung:
Eine Persona (lat. Maske) ist ein Modell aus dem Bereich der Mensch-Computer-Interaktion (MCI). Die Persona stellt einen Prototyp für eine Gruppe von Nutzern dar, mit konkret ausgeprägten Eigenschaften und einem konkreten Nutzungsverhalten.
Der entsprechende Artikel im englischen Teil der Wikipedia ist erheblich umfangreicher, jedoch stellenweise mit Vorsicht zu genießen. Dort wird ein Zusammenhang zwischen Persona und einem von OgilvyOne entwickelten Konzept namens CustomerPrints hergestellt. Dies ist zwar eine Methode der Zielgruppenbeschreibung mittels fiktionaler Charaktere, stellt aber gemeinsame Werte, Einstellungen und Annahmen (common values, attitudes and assumptions) in den Vordergrund.

Beim Persona Konzept stehen andere Dinge im Zentrum, die im Artikel An introduction to personas and how to create them (Tina Calabria, 2004) so beschrieben werden:
Personas identify the user motivations, expectations and goals responsible for driving online behaviour, and bring users to life by giving them names, personalities and often a photo.
Und genau darin liegt der entscheidende Unterschied zu (vielen) anderen Methoden, sich einer Zielgruppe zu nähern. Beim Persona Konzept stehen Erwartungen, Ziele und die Motivation für ein Handeln im Vordergrund und nicht soziodemografische oder psychographische Kriterien.

Warum das so ist wird offensichtlich, wenn man sich mit der Herkunft dieses Konzepts auseinander setzt:

Historie

Der Begriff tauchte erstmals in dem Buch The Inmates Are Running the Asylum (Alan Cooper, 1998) auf, welches als Taschenbuch über Amazon bezogen werden kann. Wie Alan Cooper selbst in dem Artikel The origin of personas beschreibt, ging es in jenem Buch in nur einem einzigen Kapitel um Personas. Die ersten Ansätze zu diesem Konzept hat er in den frühen 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt. Alan Cooper war zu dieser Zeit ein Softwareentwickler. Jedoch hat ihn immer mehr beschäftigt, wie eine Software bedient wird, wie also die Interaktion zwischen Mensch und Maschine aussieht. In diesem Kontext spielen Werte und Einstellungen eine untergeordnete Rolle. Es geht darum, wie eine Software designt sein muss, damit ein Anwender seine Ziele optimal erreichen kann - und zwar nicht nur visuell sondern auch in Bezug auf Abläufe. Dieses Feld nennt man heute Interaction Design oder auch User-Centered Design (UCD).

Vom Interaction Design zum Marketing

Kurze Zeit nachdem der Begriff Persona im Interaction Design etabliert war, tauchte der Begriff Buyer-Persona oder auch Marketing-Persona auf, dessen Definition weiterhin nah am Original ist, aber in einen anderen Kontext gestellt wird. 
Eine Definition einer Buyer-Persona liest sich so (Tony Zambito, 2013):
Buyer personas are research-based archetypal (modeled) representations of who buyers are, what they are trying to accomplish, what goals drive their behavior, how they think, how they buy, and why they make buying decisions.  (Today, I now include where they buy as well as when buyers decide to buy.)
Man findet aber auch Misinterpretationen des Persona Konzepts, die wieder in Richtung demografischer Merkmale gehen, wie bspw. bei Kentico, Hersteller einer all-in-one integrated marketing solution; hier unter dem Begriff Marketing-Persona:
Personas are archetypal characters created to represent the different user types within a targeted demographic, attitude or behavior set that might use a site, brand or product a similar way. Personas are often combined with market segmentation to represent specific customers.
Diese Definition entspricht mehr den oben erwähnten CustomerPrints. Es ist also ein wenig Vorsicht angebracht, wenn man irgendwo den Begriff Persona hört. Leider wird hier und da - meist außerhalb des Interaction Design - nur eine althergebrachte Zielgruppenbeschreibung, die weiterhin vor allem soziodemografische oder psychographische Merkmale enthält, neu verpackt. Diese Art von Information sollte zwar auch ein Bestandteil einer Persona Beschreibung sein, wichtig sind aber die Motivation, Erwartungen und Ziele.

Was bringt es, mit Personas zu arbeiten?

Das beantworte ich meist so: Stell dir mal Lieschen Müller vor.
Mit diesem Namen verbinden die meisten eine bestimmte Art Mensch. Wenn ich dann weiterhin sage: Lieschen Müller muss den T-Shirt Konfigurator auf der Website bedienen können, dürfte schnell klar sein, dass man vielleicht das ein oder andere Fancy-Feature weg besser weg lässt. 

Und dieser einfache Effekt funktioniert für das gesamte Team - Konzepter, Texter, Interaction Designer, Product Manager, Marketing-Leiter, etc.

Das soll mal jemand mit einer x-seitigen Beschreibung soziodemografischer oder psychographischer Merkmale der Zielgruppe hinbekommen - selbst unter der meist nicht zutreffenden Annahme, dass alle Beteiligten diese lesen, hat man derartige Beschreibungen der Zielgruppe bei der täglichen Diskussion und Arbeit nicht präsent.
Dort liegt aber der besondere Charm von gut gemachten und implementierten Personas. Wenn in großer, team- oder fachbereichsübergreifender Diskussion der Satz fällt Damit kann Lieschen Müller nichts anfangen. und niemand ein Fragezeichen in den Augen hat, weil allen bekannt ist, für was Lieschen Müller steht, haben sie etwas erlebt, was mit klassischen Zielgruppenbeschreibungen nahezu unmöglich oder wenigstens extrem ineffizient ist.

Ein weiterer zu erwähnender Effekt ist das sog. Grounding, wie Psychologen es nennen. Zeigt man jemandem eine Landkarte, sucht dieser zuerst nach einem bekannten Punkt. Von diesem ausgehend schaut man sich dann den Rest der Karte an. Den gleichen Effekt gibt es in quasi jedem unbekannten Raum oder besser Themengebiet. Man sucht sich einen Anker, einen Referenzpunkt. Und von diesem ausgehend erkundet man dann den unbekannten (Wissens-)Raum. Das Grounding ist natürlich eine Art Einschränkung, ein vorgegebener Blickwinkel. Diesen Blickwinkel holen wir aus uns selbst heraus, wenn wir keinen anderen vorgesetzt bekommen: Der Inhaber eines Unternehmens glaubt, dass seine Kunden so sind, wie er oder sie selbst. Der Produktentwickler entwirft ein Produkt für Menschen wie ihn oder sie. Das ist nicht selten falsch und eine Konsequenz des Grounding. Der Artikel Three Important Benefits of Personas beleuchtet unter anderem diesen Effekt.

Frank Long hat 2009 in einer Studie die Effektivität von Personas untersucht. Die Ergebnisse sprechen für sich:
The results showed that, through using personas, designs with superior usability characteristics were produced. They also indicate that using personas provides a significant advantage during the research and conceptualisation stages of the design process (supporting previously unfounded claims).
Oder auch:
Personas strengthen the focus on the end user, their tasks, goals and motivation. Personas make the needs of the end-user more explicit and thereby can direct decision-making within design teams more towards those needs. Furthermore, the study suggests that using personas can improve communication between teams and facilitate more constructive and user-focused design discussion.

Wie entwickelt man Personas und wie führt man sie im Team ein?

Diese beiden Themen füllen ganze Bücher und würden hier entweder den Rahmen erheblich sprengen oder sehr unvollständig sein. Außerdem habe ich selbst zu wenig Erfahrung damit - weiß aber, dass schlecht gemachte oder schlecht eingeführte Personas ein hohes Risiko darstellen. Also halte ich mich besser zurück. Alan Cooper selbst ist in seinem oben verlinkten Artikel zur Historie von Personas übrigens der Meinung, dass dieses Buch erst noch geschrieben werden muss.
Bis dahin kann man schon mal hier rein schauen:

  • Pruitt, John & Adlin, Tamara. The Persona Lifecycle : Keeping People in Mind Throughout Product Design. ISBN 978-0125662512
  • Goodwin, Kim & Cooper, Alan. Designing for the Digital Age: How to Create Human-Centered Products and Services ISBN 978-0470229101
Wer glaubt, mit einigen Online-Quellen genug Informationen zu bekommen, sollte den Artikel Content Marketing Framework: Audience lesen. In diesem sind einige Links versammelt, die sich mit dem Entwickeln von Personas auseinander setzen.

Kritik an Personas

findet man online nur sehr wenig. Jason Fried, Mitbegründer von Basecamp (ehemals 37signals), hält nichts von Personas - er zieht es vor, die Produkte für uns selbst (We use ourselves.) zu erstellen. Und er hat völlig recht - aber nur in seinem Kontext. Basecamp entwickelt (etwas vereinfacht dargestellt) Web-Anwendungen für Menschen, die Web-Anwendungen entwickeln. Es liegt also in der Natur des Produkts, dass sie selbst ihre besten Personas sind.

Weitere Online-Quellen:





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